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Октябрь
2024

Childfree-Bewegung: Eine Bedrohung der traditionellen Werte?

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Walentina Matwijenko und Wjatscheslaw Wolodin stimmen mit beiden Händen für das neue Gesetz. (Foto: Jekaterina Stukina/RIA Novosti)

Einwände der Russisch-orthodoxen Kirche

Die Idee, die „Propaganda für den Verzicht auf Kinder“ in Russland zu verbieten, wurde weder heute noch gestern geboren. Solche Gesetzentwürfe wurden bereits zweimal in der Staatsduma behandelt, aber die Abgeordneten lehnten sie ab und schickten sie zur Überarbeitung zurück. Beim ersten Mal wurde das Dokument wegen seiner Irrelevanz abgelehnt – damals verbot das Gesetz bereits jegliche Information, die „Familienwerte leugnet“. Beim zweiten Mal wurde der vorgelegte Entwurf abgelehnt, weil die Russisch-orthodoxe Kirche Einwände gegen den Wortlaut des Dokumentes hatte. Die Kirche wies darauf hin, dass die Kriminalisierung des Verzichtes auf Kinder auch Mönche betreffen könnte, die das Zölibat einhalten. Im Juni letzten Jahres stellten die Abgeordneten das Dokument fertig und berücksichtigten dabei die Wünsche der Kirche.

„Umstände für die Entvölkerung Russlands“

In der Begründung des neuen Gesetzentwurfs, der von Abgeordneten von „Einiges Russland“ verfasst wurde, heißt es, dass „die Ideologie der Kinderlosigkeit“ als Bedrohung der traditionellen Werte „Umstände für die Entvölkerung Russlands schafft“. Der Gesetzentwurf sieht ein Verbot der „Propaganda für den Verzicht auf Kinder“ auf Websites, in den Medien, in der Werbung und unter Kindern vor. Für Filme, die solche Propaganda enthalten, werden keine Verleihgenehmigungen erteilt. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, ähnliche Geldstrafen wie für die Propagierung nichttraditioneller sexueller Beziehungen oder einer Geschlechtsumwandlung einzuführen: bis zu 400 000 Rubel (etwa 4000 Euro) für natürliche Personen, bis zu 800 000 Rubel für Beamte und bis zu 5 Millionen Rubel für juristische Personen.

Die „Neuen Menschen“ sind dagegen

Der Sprecher der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, kritisierte während einer Plenarsitzung, in der die neue Gesetzesinitiative erörtert wurde, die Haltung der Abgeordneten der Fraktion „Neue Menschen“, die sich gegen den Gesetzentwurf zum Verbot der Propaganda von Kinderlosigkeit aussprechen. Wolodin sagte, sie sollten die Initiative unterstützen und erinnerte die Volksvertreter daran, dass auch sie nicht „im Reagenzglas geboren“ wurden.

Zuvor hatte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der „Neuen Menschen“, Sardana Awksentjewa, auf ihrem Telegramm-Kanal geschrieben, dass „diese obskurantistische Initiative den Weg für eine Million unbegründeter Denunziationen öffnen wird, die aus Rache und Neid eingereicht werden“. Sie wies auch darauf hin, dass der Staat Bedingungen schaffen sollte, unter denen junge Frauen keine Angst haben, ein Kind zu gebären. Zu diesem Zweck sei es notwendig, junge Mütter bei der Wohnungssuche, bei der Ausbildung und bei der Arbeitssuche zu unterstützen. Darüber hinaus sei es notwendig, den allgemeinen Lebensstandard anzuheben und soziale Garantien und Stabilität zu bieten, anstatt Menschen zu zwingen, Kinder zu bekommen.

Heimtückische Absichten

Zu den Verfassern des Gesetzentwurfs gehört auch die Sprecherin des Föderationsrates Walentina Matwijenko. Im September forderte sie beim Eurasischen Frauenforum in St. Petersburg ein Verbot der nicht existierenden „internationalen Bewegung für Kinderlosigkeit“. „Weil es ein ausländisches Projekt ist, ein feindliches Projekt. Es ist ein Projekt, das darauf abzielt, gesunde, normale Frauen von der Mutterschaft abzuhalten“, so damals Matwijenko. Auch Wolodin sah in der Childfree-Bewegung eine ausländische Spur und heimtückische Absichten. „Diese Werte werden uns von Amerika, von Europa aus aufgezwungen“, so Wolodin. Noch früher, im Juni dieses Jahres, bezeichnete die stellvertretende Sprecherin der Staatsduma, Irina Jarowaja, in einer Rede beim Internationalen Rechtsforum in St. Petersburg die Propaganda der Kinderlosenbewegung als Waffe gegen die junge Generation und forderte ihre Unterdrückung.

Putins Pressesprecher Dmitri Peskow verneinte die Frage einer TASS-Korrespondentin, ob der Kreml in der Praxis an dem Vorschlag arbeite, betonte aber, dass das demografische Problem eine der größten Herausforderungen für den Staat sei. In diesem Zusammenhang sagte Peskow, dass „alles, was den Anstieg der Geburtenrate verhindert, verschwinden sollte“.

Keine Szenen machen

Der unabhängige Demograf Alexej Rakscha kommentierte die neue Gesetzesinitiative gegenüber Fontanka.ru: „Wenn der Staat wirklich will, kann er die Geburtenrate erhöhen, aber dafür werden Investitionen gebraucht. Aber aus irgendeinem Grund tun die Behörden so, als ob sie das nicht wüssten, sie geben ihr Geld für etwas anderes aus, und anstatt in das Bevölkerungswachstum zu investieren, machen sie Szenen wie die aktuelle Geschichte mit der Propaganda von Kinderlosigkeit.“

Wünsche und Pläne gehen auseinander

Die Abgeordnete der „Neuen Menschen“, Ksenija Gorjatschewa, sagte unter Bezugnahme auf die Ergebnisse einer von der Nichtregierungsorganisation „Russian Field“ durchgeführten Umfrage, dass die Mehrheit der Russen Kinder haben möchte, aber durch materielle Faktoren daran gehindert wird. Experten der Russischen Staatlichen Sozialen Universität kamen im letzten Sommer zu ähnlichen Ergebnissen. Ihrer Umfrage zufolge planen 68 Prozent der russischen Familien nicht, Kinder zu bekommen. Zu den häufigsten Gründen gehörten ein geringes Einkommen (64 Prozent), schlechte Wohnverhältnisse (45 Prozent) und Ängste vor der Abzahlung von Krediten (43 Prozent).

Es ist bemerkenswert, dass der Gesetzentwurf vor dem Hintergrund der staatlichen Politik zum Schutz der sogenannten „traditionellen Werte“ ausgearbeitet wird, die zunehmend an Dynamik gewinnt. Im Rahmen dieser Politik werden immer mehr Forderungen laut, die Frauen von der Hochschulbildung weg und hin zur Familiengründung lenken. Die Regionen beginnen, Gesetze zu verabschieden, die die „Verleitung zur Abtreibung“ unter Androhung von Geldstrafen verbieten, und nach Treffen mit Beamten und Geistlichen weigern sich private Kliniken, „freiwillig“ Abtreibungen durchzuführen.

Was die „einfachen“ Russen darüber denken

Was die Einstellung der „einfachen“ Russen zu der neuen Initiative angeht, so bewerteten laut einer Ende September vom Portal „Mail.ru“ durchgeführten Umfrage 34 Prozent die Gesetzesänderungen als durchaus positiv, während 13 Prozent „eher positiv“ eingestellt waren. Etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmer vertritt die gegenteilige Meinung: 21 Prozent äußerten eine eindeutig negative Haltung, 12 Prozent eine „eher negative“. Ungefähr 20 Prozent der Russen haben keine eindeutige Meinung oder fanden es schwierig, eine Antwort zu geben.

Eine garantierte Schlange der Gebärwilligen

Zur Frage der Zweckmäßigkeit der Neuerungen sagte der Anwalt Wadim Bagaturia gegenüber RTVI, er halte sie für „nichts anderes als politische PR einzelner Abgeordneter“. Seiner Meinung nach hätten die Parlamentarier, wenn sie wirklich ein Gesetz verabschieden wollten, das zur Steigerung der Geburtenrate beiträgt, nicht die Childfree-Bewegung verbieten sollen, sondern eine Norm entwickeln sollen, nach der jede Familie mit einem dritten Kind eine Vier-Zimmer-Wohnung und eine monatliche Beihilfe von 100 000 Rubel erhalten würde. „Ich garantiere, dass die Schlange der Gebärwilligen von Wladiwostok bis zum Moskauer Kreml reichen würde“, ist sich Bagaturia sicher.

Von Anastassija Archipowa

Запись Childfree-Bewegung: Eine Bedrohung der traditionellen Werte? впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.