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Октябрь
2024

Psychologie: Männer auf der Couch: Warum sie selten eine Therapie machen und wie Apps helfen

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Nur ein Drittel aller Patienten in Therapiepraxen sind männlich. Dabei ist die Suizidrate bei Männern dreifach so hoch wie bei Frauen. Digitale Angebote könnten hier eine Lücke füllen. 

Die Online-Therapieplattform Hellobetter soll therapeutische Angebote leichter zugänglich zu machen – und stößt bei Männern auf größere Resonanz als konventionelle Therapie-Angebote. Die Mitgründerin Dr. Hanne Horvarth erklärt woran das liegen könnte. 

Wenn ich bei Veranstaltungen zum Thema Mental Health bin, bin ich oftmals nahezu der einzige Mann. Interessieren sich Männer nicht für das Thema Mentale Gesundheit?
Männer interessieren sich durchaus für das Thema. Es betrifft sie ja letztlich genauso wie Frauen. Allerdings fehlen Männern oft Vorbilder, was psychische Gesundheit angeht. Es gibt eben doch sehr wenige Männer, die offen darüber sprechen.

Gerade hat der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, seinen Rücktritt erklärt. Er gibt dafür gesundheitliche Gründe an, hat aber in der Vergangenheit oft über die Belastung im Beruf des Politikers gesprochen und die Herausforderung, immer stark wirken zu müssen.
Es ist gesellschaftlich immer noch wenig akzeptiert, wenn Männer sich schwach zeigen oder überfordert. Und das führt auch dazu, dass sich Männer selten jemandem anvertrauen. Unsere Studie hat ergeben, dass viele Menschen ihre Probleme eher mit sich selbst ausmachen. Am ehesten vertrauen sich Männer noch ihrer Partnerin oder Partner an. Das wird dann umso problematischer, wenn die Beziehung endet.

Zur Person Mentale Gesundheit Männer

Zwei Drittel derjenigen, die in Therapie gehen sind weiblich. Haben Männer vielleicht einfach nicht so einen großen Bedarf zu sprechen?
Auch Männer leiden unter Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen. Die Symptome äußern sich bei Männern jedoch teilweise anders als bei Frauen, was zu Herausforderungen in der Diagnostik führen kann.

Warum das?
In der frühen Phase der Psychotherapie lag der Fokus oft auf der Behandlung von Frauen und deren spezifischen psychischen Erkrankungen, wie der damals so bezeichneten "Hysterie". Depressionen und Angststörungen wurden ebenfalls häufig mit weiblichen Patientinnen in Verbindung gebracht. Diese geschlechtsspezifische Ausrichtung hat dazu geführt, dass "typisch" männliche Symptome historisch in der Diagnostik weniger Beachtung fanden. Ähnlich wie ein Schlaganfall bei Frauen andere Symptome zeigt als bei Männern, hat eine Depression bei Männern womöglich andere Anzeichen. 

Welche sind das?
Männer zeigen oftmals eher Gereiztheit und ein aggressives Verhalten, das mit Selbstverletzung einhergehen kann. Sie leben ihre Gefühle eher im Außen aus als Frauen, die eher Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit bei einer Depression an den Tag legen. Gewalttätigem Verhalten kann daher bei Männern eine psychische Erkrankung zugrunde liegen, ebenso wie Alkoholmissbrauch. Was sich auch in der Tatsache zeigt, dass es zu großen Teilen Männer sind, die wegen Gewaltverbrechen, etwa an der Partnerin, auffällig werden oder in den hohen Suizidzahlen.

PAID 4_22 Männergesundheit Mir gehts blendend Psyche 18:36

Die Suizidrate bei Männern ist dreimal höher als bei Frauen.
Das augenscheinlichste Anzeichen, dass auch Männer unter Depressionen leiden und das Resultat dessen, dass sie es oft nicht behandeln lassen können, weil es nicht diagnostiziert wurde – oder sie es eben auch nicht behandeln lassen wollen.

Welche Hürden bestehen für Männer dabei, Hilfe zu suchen?
Je nach Studie sind 70 bis 80 Prozent aller Psychotherapeuten in Deutschland weiblich. Das ist bereits eine Hürde, weil Männer sich gerade in ihren männlichen Bedürfnissen etwa bei einer Depression von einer Frau weniger verstanden fühlen können. Dazu kommt natürlich der Mangel an Therapieplätzen in Deutschland, der nun mal alle betrifft. Aber Männer, die sowieso schon wenig überzeugt davon sind, in Therapie zu gehen, lassen sich davon noch leichter abschrecken und geben beim Abklappern der verschiedenen Praxen oft früher auf.

Inwiefern helfen hier Therapie-Plattformen wie Hellobetter?
Wir schließen die Lücke in der therapeutischen Versorgung in Deutschland. Es gibt so viele Menschen, die einen Therapieplatz suchen und die sehr lange darauf warten müssen. Es fehlen viele Tausend Plätze. Selbst wenn wir deutlich mehr Therapeutinnen und Therapeuten in Deutschland hätten, würde das nicht ausreichen, um den gesamten Bedarf zu decken. Hier bieten wir eine erste Hilfe an.

Also eine Art Therapie-Ersatz?
Nein. Wir sind dezidiert kein Ersatz für Psychotherapie, auch wenn unsere Therapieprogramme für einzelne Betroffene ähnlich wirksam sein können. Trotzdem wollen wir Psychotherapie nicht abschaffen, sondern eher ausbauen. Es geht darum, die Therapie zu ergänzen oder auch zu helfen, wenn eben kein Therapieplatz gefunden wird.

Warum ist es ein Problem, wenn Menschen warten müssen?
Die Wartezeit in Deutschland auf einen Therapieplatz beträgt im Schnitt fünf Monate. Wenn zu lange gewartet wird, kann das zu einer Chronifizierung der Krankheit führen. Man kann einen Menschen mit gebrochenem Bein ja auch nicht einfach fünf Monate auf die Behandlung warten lassen. Die digitalen Therapieprogramme, die wir anbieten, geben die Möglichkeit, natürlich immer überwacht von einem Psychologen oder einer Psychologin, den Leidensdruck zu verringern. Es ist aber auch so, dass manche Menschen es bevorzugen, sich digital Hilfe zu holen. Sie wollen gar nicht unbedingt zu einer Therapeutin oder einem Therapeuten in die Praxis.

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Könnte in dieser Hinsicht eine Therapieplattform auch besser für Männer sein, die einer Therapie in Präsenz skeptisch gegenüberstehen?
Ich vermute, dass es für viele Männer einfacher ist, sich ein Programm zu suchen und das zu verfolgen, als mit einem Menschen in einem Raum zu sitzen und über die eigenen Probleme zu sprechen. Ein Online-Programm ist ja auch etwas Zielgerichtetes, bei dem man selbst in Aktion tritt und nicht von jemand anderem abhängig ist. Man macht etwas, um sich selbst zu helfen. Das entspricht dem männlichen Rollenbild eher, als sich Hilfe zu suchen und Unterstützung von anderen Menschen anzufordern.

Welche Kurse werden besonders häufig von Männern genutzt?
Am häufigsten wird unser Online-Programm zur Behandlung von Stress und Burnout von Männern genutzt.

Was würde helfen, das Thema mentale Gesundheit bei Männern mehr in den Fokus zu rücken und dafür sorgen, dass sich mehr Männer Hilfe suchen?
Es wäre zum einen gut, wenn schon beim Hausarzt geschaut würde, inwiefern Erkrankungen wie Alkoholabhängigkeit oder auch körperliche Beschwerden psychische Ursachen haben. Außerdem wiederhole ich hier gerne noch einmal: Wir brauchen mehr positive Rollenbilder. Wenn mehr Männer mit solchen Themen in die Öffentlichkeit gehen und es zum Beispiel auch in Fußballvereinen normal ist, über Herausforderungen und Probleme zu sprechen, dann wird es auch für mehr Männer leichter, sich Hilfe zu suchen.

Ist das auch eine Aufgabe für die Erziehung und Bildung?
Ich denke schon, dass es einen Unterschied macht, ob ich von meinem Vater als Junge beigebracht bekomme, dass Männer auch einmal traurig sein dürfen oder andere Gefühle spüren – oder eben nicht. In dieser Hinsicht ist es natürlich auch ein Problem, dass ein Großteil der Erzieher in den Kindertagesstätten oder Kindergärten weiblich ist. Frauen können natürlich auch Jungs etwas beibringen, aber die Identifikation ist mit dem eigenen Geschlecht eben größer. Positive Rollenbilder sind enorm wichtig.