Dreh-Momente am Dienstag: Wofür braucht es Ausgleichsbehälter?
An Enduro- und Downhillbikes sind sie obligatorisch, am XC-Bike dagegen quasi undenkbar: externe Ausgleichsbehälter am Federbein. Was hat es damit auf sich? Und in welchen Fahrsituationen ist das zu spüren?
Allein schon der Name: „Ausgleichsbehälter“ – was wird da eigentlich ausgeglichen? Hilft vielleicht der Blick auf die englische Bezeichnung? Hier heißt das Teil einfach „Piggyback“, was so viel bedeutet wie „Huckepack“. Vielen Dank, denn das ist zwar ein netter Vergleich, aber einfach nicht sehr aufschlussreich, wofür das Teil gut sein könnte.
Die Technik
Wir hatten vor einiger Zeit ja schon darüber gesprochen, was Dämpfung eigentlich ist. Und in jedem Federbein wird zum Glück fleißig gedämpft. Indem Öl durch Öffnungen mit konstantem und variierendem Querschnitt fließt, wird die Federgeschwindigkeit beeinflusst; um genau zu sein: reduziert. Das Öl im Inneren des Federbeins wird in Bewegung gesetzt, oder es bewegt einen Kolben im Öl – es gibt hier verschiedene Bauweisen, für die sich die Hersteller verschiedenste Namen einfallen lassen. Am Ende des Tages könnt ihr euch das mit der Dämpfung aber so vorstellen, wie wenn ihr einen manuellen Milchaufschäumer verwendet: Je schneller ihr den Stempel durch die Flüssigkeit bewegen wollt, desto mehr Widerstand leistet sie. Ganz langsame Bewegungen dagegen gehen ganz leicht von der Hand. Damit verbunden wird die Flüssigkeit auch mehr oder weniger erwärmt. Denn: Um zu dämpfen, wird kinetische Energie (der Dämpfer bewegt sich) in Wärme umgewandelt. Hintergrund ist die innere Reibung im Öl, und auch hier kann jeder mal ausreichend lang und intensiv seinen Milchaufschäumer bemühen …
Fakt ist jedenfalls: Je tiefer und in je schnellerer Frequenz euer Hinterbau einfedert, und je höher die von euch eingestellte Dämpfung ist, desto mehr Wärme wird erzeugt. Diese Wärme wird vom Öl und dem Gehäuse aufgenommen und an die Umgebung abgegeben. Nachdem insbesondere bei Luftfederbeinen auch die Kompression der Luft und die Reibung der Dichtungen zusätzlich Wärme erzeugen, wird euer Federbein heiß. Das glaubt mir jeder, der schon mal im Matsch schnell und ruppig Fahrrad gefahren ist: Der Matsch am Federbein ist trocken, am übrigen Rad nicht (klar, an den Bremsen auch …).
Was ist das Problem eines heißen Federbeins? Nunja: Einerseits ändert sich bei Luftfedern die Federhärte, vor allem aber: die Viskosität des Öls. Das kennt nun auch jeder, der schon mal Öl in der Pfanne erhitzt hat: Mit zunehmender Temperatur wird das Zeug dünnflüssiger. In Konsequenz sinken die Dämpfungskräfte, anschaulich gesprochen: Ihr könnt einen Löffel ja auch einfacher durch warmen Honig ziehen, als durch kalten.
Neben der Temperaturstabilität bietet der zusätzliche Platz, den ein externer Ausgleichsbehälter liefert, aber auch andere Möglichkeiten: So können die Öl-führenden Kanäle und Ventile freier, insbesondere auch größer gestaltet werden. Unabhängige Kanäle für Zug- und Druckstufe sind beispielsweise einfach ohne Ausgleichsbehälter schwierig unterzubringen (wenn auch nicht unmöglich, wie der Cane Creek Double Barrel Inline zeigt). Große und voneinander unabhängige Kanäle ermöglichen es, das Spektrum von viel in Richtung wenig Dämpfung zu vergrößern. Auf dem Trail äußert sich das dann so: Bei Bedarf kann die Federung nahezu frei, ungedämpft arbeiten. Schnelle Bewegungen sind nur möglich, wenn Öl mit wenig Widerstand fließen kann. Wenn das Öl dagegen zu viel Widerstand leistet, kann sich das Fahrwerk bockig anfühlen.
Der Fahreindruck
Milchschaum, Öl, Honig: Was bedeutet das jetzt in der Praxis, auf dem Trail? Eigentlich ist es einfach: Euer Fahrwerk leistet mit wärmerem – also dünnflüssigerem Öl – Schlägen nur noch geringeren Widerstand. Noch schlimmer aber: Auch das Ausfedern wird weniger gedämpft, euer Heck kickt plötzlich mehr. Das kann richtig unangenehm oder gar gefährlich sein. Wie sehr sich euer Öl erhitzt, hängt jetzt neben den oben genannten Randbedingungen eben auch von der Bauweise des Federbeins ab. Vereinfacht kann gesagt werden: Je schwerer das Federbein, desto besser – denn dann erwärmt es sich langsamer. Auch Kühlfinnen können dazu beitragen, die Wärme schneller wieder loszuwerden. Die Ingenieure lassen sich so einiges einfallen, um die Temperaturen nicht ganz ungeniert steigen zu lassen. Pauschal bringt der externe Ausgleichsbehälter also sowohl ein größeres Ölvolumen als auch eine größere Kühloberfläche, weshalb er sich weniger erhitzt und damit konstanter auch bei langen, anspruchsvollen Abfahrten verhält. Aber auch unter „Inline Dämpfern“ gibt es Unterschiede hinsichtlich Ölvolumen und Kühlung. Die einfachste Indikation für die Temperaturstabilität eines Federbeins liefert sein Gewicht. Andere Ansätze, wie beispielsweise ein sich bei Temperatur verengendes Ventil im Rock Shox Vivid Air von 2012, sind inzwischen nicht mehr am Markt.
Und was wird jetzt ausgeglichen, also warum heißt das Teil „Ausgleichsbehälter“? Schlicht und ergreifend das Ölvolumen, das durch den Kolben oder die Kolbenstange verdrängt wird. Hier sorgt meist ein Internal Floating Piston (IFP) dafür, dass das verdrängte Öl durch unter Druck gesetztes Gas ausgeglichen wird. Das geschieht beim Inline-Dämpfer wie auch beim Dämpfer mit Piggy-Back, aber eben einfach auf engerem Raum. Ohne Druck im Ausgleichsbehälter würden sich Öl und Luft mischen, ein offenes Ölbad entstünde, das nur unter ganz bestimmten Bedingungen funktionieren würde. Für den Druck wird übrigens in aller Regel Stickstoff verwendet. Der hat den Vorteil, dass seine größeren Moleküle weniger flüchtig sind, weshalb wohl die wenigsten von euch jemals den IFP-Druck in ihrem Federbein nachgefüllt haben.
Dämpfer ganz ohne Bedarf für einen IFP oder eine Membran zum Volumenausgleich gibt es: Der Trick nennt sich ThruShaft und bezeichnet eine Bauform, bei der die Kolbenstange vollständig durchs Ölvolumen führt, weshalb es keine Volumenänderung gibt. Das ist aber die absolute Sonderlösung, die Trek gemeinsam mit Rock Shox vor einigen Jahren pilotiert hat. Inzwischen sind die Federbeine aber wieder vom Markt verschwunden.
Erwähnenswert ist an dieser Stelle sicher auch der Intend Hover Dämpfer und die technisch verwandten Scott und Cannondale Federbeine aus der Feder von Peter Denk. Bei ihnen übt das Öl den Druck auf die Luftfeder aus (und nicht auf ein zusätzliches Stickstoffreservoir). Das spart ein paar Teile, hat Vorteile hinsichtlich der Wärmeabfuhr und verringert das Risiko von Kavitation.
Kavi-was? Hierzu kann es kommen, wenn der Druck im Öl zu gering wird. Beispielsweise, wenn es beim Ausfedern nicht mit genügend Druck zurück durch die Öffnungen gedrückt wird. Dann kann das Federbein schneller ausfedern, als das Öl es eigentlich will. In Konsequenz entsteht ein Unterdruck, der im schlimmsten Fall Bläschen im Öl erzeugt, die sogleich wieder zusammenfallen, sobald der Dämpfer ausgefedert ist oder wieder einfedert. Die Bläschen sind die gleichen, die entstehen, wenn eine Flüssigkeit zu kochen beginnt – durch den extrem niedrigen Druck geschieht dies nur schon bei geringeren Temperaturen. Diese Bläschenbildung – und das anschließende Implodieren der Bläschen – stellt einerseits eine zusätzliche mechanische Belastung dar und sorgt für unschöne Geräusche. Andererseits verändert es einfach die angestrebte Dämpfung. Das wiederum spürt ihr dann als unvorhersehbares Fahrverhalten.
Fazit:
Im Federbein geht es unglaublich eng zu: Viele Teile auf kleinstem Raum, feine Gewinde und Bohrungen, Federn, Öl… da stößt die Ingenieurskunst und damit die Performance früher oder später an ihre Grenzen. Auch wenn Inline-Federbeine immer besser werden. Außerdem hilft gegen Wärme eben auch einfach thermische Masse. Die technische Antwort darauf heißt häufig: Ausgleichsbehälter. Insbesondere schwere Fahrer oder alle, die auf lange schnelle Abfahrten stehen, profitieren.
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