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Österreichs Innenminister zu deutschen Grenzkontrollen: "Schengen ist tot"

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Die EU scheitert in diesen Tagen gleich doppelt. Mit dem Vorhaben Deutschlands, an seinen Grenzen wieder Kontrollen einzuführen, um die Migration zu begrenzen, ist neben dem Dubliner Abkommen auch das Schengener Abkommen gescheitert, meint der österreichische Journalist Michael Fleischhacker in einem Kommentar

"Der deutsche Staat hat vor der großen Zahl der Fälle kapituliert, und vor der normativen Kraft des Faktischen und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Es ist nämlich so: Das europäische Asylsystem ist gescheitert, und dieses Scheitern ist in absehbarer Zeit nicht rückgängig zu machen."

Polen nennt die Grenzkontrollen "inakzeptabel". Polens Ministerpräsident Donald Tusk bezeichnete die Ankündigung Deutschlands als "de facto Aussetzung des Schengen-Abkommens in großem Maßstab". Er kündigte an, Polen werde den Zusammenschluss mit anderen Nachbarländern suchen, die von der deutschen Migrationspolitik getroffen werden.

Österreich erklärte, an der deutschen Grenze zurückgewiesene Flüchtlinge nicht wieder aufnehmen zu wollen. "Schengen ist tot", sagte Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) den Salzburger Nachrichten. Gleichzeitig zeigte er Verständnis für Deutschland. Mit der Einführung von Grenzkontrollen zeige Deutschland, dass es das Problem der illegalen Migration erkannt habe. Die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik der EU müsste endlich zum Leben erweckt werden. 

Es droht ein handfester Streit in der EU und eine Wiederholung der Chaostage am Beginn der Coronakrise, als einzelne Länder eigenmächtig die Grenzen geschlossen hatten. Auch damals agierte Deutschland, ohne sich abgestimmt zu haben und brüskierte seine Nachbarn. 

Wie bei Corona agiert die EU-Kommission auch heute wieder äußerst zurückhaltend und wirkt schwach. Kommissionssprecherin Anitta Hipper erinnerte Deutschland lediglich daran, dass Grenzschließungen einerseits "notwendig" und trotz der Notwendigkeit "verhältnismäßig" sein müssen. Mit einer Auslegung, die der aktuellen Situation gerecht wird, füllt die Kommission diese Begriffe nicht.

Eskaliert wird der Streit zudem von Ungarn. Das Land droht, illegale Migranten per Bus nach Brüssel zu transportieren. Zuvor hat der EuGH Ungarn zu einer Strafe von 200 Millionen Euro verurteilt. Nach Auffassung des Gerichts erschwert Ungarn den Zugang zu Asylverfahren und verletzt damit EU-Recht. Eine erste Frist zur Zahlung der Strafe hat Ungarn allerdings verstreichen lassen. Dabei steht Ungarn mit seiner Haltung zur illegalen Migration nicht allein. Illegale Pushbacks und Weiterleitung von Migranten in andere Länder sind in der EU längst mehr Regel als Ausnahme. Beispielsweise gab es während der Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen dem Baltikum und Polen einerseits und Weißrussland andererseits Berichte, polnische Grenzschützer würden Flüchtlinge im Grenzstreifen erschießen. Auch im Mittelmeer werden Pushbacks durchgeführt. 

Die Bundespolizei verweist darauf, dass die deutsche Grenze aufgrund ihrer Länge nicht lückenlos zu überwachen sei. Zudem fehle es an Personal und der notwendigen technischen Ausstattung. 

Das Aufnahmeverfahren in der EU regelte bisher das Dubliner Übereinkommen. Es sieht vor, dass das jeweilige EU-Land für das weitere Asylverfahren zuständig ist, in dem der Asylsuchende erstmalig den Boden der EU betreten hat. Das Abkommen ist umstritten, da sich die Länder, die über eine EU-Außengrenze verfügen, gegenüber denjenigen Ländern im Nachteil sehen, die wie Deutschland nur an EU-Länder grenzen. 

Im Jahr 2015 war das Dubliner System faktisch zusammengebrochen, als sich ein Migrantenstrom insbesondere aus Syrien in Richtung EU bewegt hat. Die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ordnete die Grenzöffnung an. Darin hat auch die heute Debatte um Migration und Flüchtlinge eine ihrer Ursachen. Merkel hat die ungeregelte Einreise einer großen Zahl von Flüchtlingen ermöglicht. An den Fluchtursachen hat sie dagegen nichts geändert. 

Das Dubliner Übereinkommen wurde erst kürzlich überarbeitet. Der neue Migrationspakt der EU greift allerdings erst ab 2026. Die Zahl der Grenzschützer soll erhöht und Rückführungen sollen erleichtert werden. Am Grundsatz des Dubliner Abkommens soll festgehalten werden. Daher wird auch die neue Vereinbarung die bestehenden Probleme laut Experten nicht lösen. Die Erosion des Schengener Abkommens schreitet damit weiter voran. Grenzkontrollen, die eigentlich die Ausnahme bleiben sollten, werden in immer kürzeren Abständen zum Regelfall. Eine echte Lösung des Problems illegaler Migration ist nicht in Sicht. 

Mehr zum Thema – Bericht: Faeser will an allen deutschen Landgrenzen Kontrollen einführen