Nations League: DFB-Gala gegen Ungarn – vergessene Weltmeister?
Nach dem Rücktritt zahlreicher DFB-Größen zeigt sich die Nationalmannschaft gefestigt. Gegen Ungarn gibt es auch für den Bundestrainer nur wenig zu meckern. Aus Düsseldorf berichtet Noah Platschko. David Raum machte einfach mit. Als das vom furiosen Sieg euphorisierte Publikum den Klassiker "Oh, wie ist das schön" anstimmte, stimmte der Leipziger enthusiastisch mit ein und tanzte, ehe er mit seinen Teamkollegen eine Ehrenrunde im Düsseldorfer Stadion drehte. 5:0 gegen Ungarn. Die deutsche Mannschaft hat sich nach dem Schock im EM-Viertelfinale gegen Spanien eindrucksvoll zurückgemeldet – und einen absoluten Galaauftritt hingelegt. Der Kantersieg gegen den osteuropäischen Dauergegner war zugleich der höchste Sieg der noch kurzen Ära Julian Nagelsmann . Der Auftakt in die Nations League im ersten Spiel gut zwei Monate nach der Heim-EM ist sichtbar geglückt. Entsprechend zufrieden zeigte sich auch der Bundestrainer, wenngleich er insbesondere im ersten Durchgang Verbesserungspotenzial sah. "Wir müssen höher führen. Das war heute nicht so dramatisch, aber wir müssen einen Killerinstinkt entwickeln, um Spiele schneller zuzumachen", kritisierte er die unzureichende Chancenverwertung des ersten Durchgangs. "Aber: Viel Spielfreude, viele gute Ballgewinne und wenig zugelassen", lobte Nagelsmann den berauschenden Auftritt, bei dem der Gegner am Ende komplett chancenlos war. Ungarns Trainer spricht von einer Schande Waren die Ungarn in den vergangenen Jahren ein wenig zum deutschen Angstgegner mutiert, schien die von Coach Marco Rossi trainierte Elf am Samstagabend mit dem Spielwitz und -tempo des DFB-Teams überfordert. Konnte das Team bei der Euro zumindest zeitweise noch Paroli bieten, brach die Mannschaft im zweiten Durchgang dermaßen auseinander, dass Rossi nach Abpfiff gar von einer "Schande" sprach . Doch wäre es zu kurz gegriffen, den famosen deutschen Auftritt lediglich mit einer uninspirierten Darbietung des Gegners zu begründen. Im Gegenteil. Wieder einmal waren es insbesondere die Jungstars Florian Wirtz und Jamal Musiala, die mit ihrer Spielfreude das Publikum von den Sitzen rissen und im Stadion eine EM-artige Atmosphäre schufen. Dass sich die 49.235 Zuschauerinnen und Zuschauer bei einem vermeintlich weniger wichtigen Spiel dermaßen mitreißen ließen, dürfte ein Indiz dafür gewesen sein, die gute Stimmung der EM auch in die Post-Turnier-Phase hinübergerettet zu haben. Vor allem Bayerns Musiala, der vor Anpfiff noch als einer von mehreren EM-Torschützen-Königen geehrt wurde, hatte gegen Ungarn mit einem Treffer und drei Vorlagen großen Anteil daran. Später wurde er für seinen starken Auftritt deshalb noch zum Man of the Match gekürt. Entsprechend war "Bambi", so Musialas Spitzname, nach Abpfiff einer der gefragtesten Spieler bei den Medienschaffenden. "Die haben mir schon tausend Fragen gestellt. Ich sage immer nur das Gleiche. Dienstag!", vertröstete der 21-Jährige die schreibende Zunft in der Mixed Zone, hatte er doch zuvor bereits bei den TV-Kollegen ausführlich Rede und Antwort gestanden. Stürmerkollege Füllkrug attestierte Musiala und Partner Wirtz eine herausragende Leistung, sprach im ZDF gar von einem "Geschenk", solche Spieler in seiner Mannschaft zu wissen. Und auch Mittelfeldmann Groß lobte die "Weltklasse" seiner jüngeren Kollegen. Dabei hatte gerade der Neu-Dortmunder selbst bis zu seiner Auswechslung in der 60. Minute einen blitzsauberen Auftritt hingelegt, nach dessen Ende niemand auch nur ansatzweise das Gefühl hatte, die deutsche Mannschaft hätte mit dem zurückgetretenen Toni Kroos exorbitant besser gespielt. Niemand vermisst die Weltmeister Ohnehin dürfte eine Erkenntnis des Düsseldorfer Galaabends gewesen sein, dass keiner der vier einstigen DFB-Größen Manuel Neuer , Thomas Müller , İlkay Gündoğan oder eben Kroos gegen Ungarn groß vermisst wurde. Ein Verdienst von Mannschaft und Trainer, der bereits vor Anpfiff verbat, Vergleiche zwischen den zurückgetretenen und noch aktiven Spielern anzustellen. Ähnlich sah es ZDF-Experte Christoph Kramer . "Wir sollten nicht den Fehler machen und danach suchen, wer Thomas Müller ersetzt. Ich finde es immer schwierig, wenn Menschen andere Menschen kopieren wollen. Das gelingt nicht", so der Weltmeister von 2014. "Wir brauchen gar nicht zu überlegen, wer der neue Thomas Müller wird. Viele Spieler sind weggebrochen. Jetzt gilt es, diese Lücke mit anderen Spielern zu füllen." Zumindest auf dem Platz scheinen diese bereits gefüllt zu sein. Während die nur einmal wirklich richtig geprüfte neue Nummer eins, Marc-André ter Stegen , ohne Gegentor blieb, überzeugte auch Joshua Kimmich als neuer Kapitän auf der rechten Seite. Gepaart mit dem kongenialen Offensivduo "Wusiala" scheint diese Nationalmannschaft auf dem richtigen Weg zu sein, spätestens bei der WM in zwei Jahren zu den absoluten Titelfavoriten zu gehören. Andererseits sollte man zunächst noch das Aufeinandertreffen am kommenden Dienstag mit den Niederlanden abwarten. Auch der EM-Halbfinalist gewann sein Spiel am Samstagabend mit fünf eigenen Treffern (5:2 gegen Bosnien). Ein deutscher Sieg in der Amsterdamer Arena könnte im Kampf um den Gruppensieg vorentscheidenden Charakter haben. "Holland hat eine sehr gute Mannschaft, sehr viel Potenzial, was die Einzelspieler angeht. Bei der EM haben sie in jeder Halbzeit was anderes gespielt, sind sehr variabel. Ich freue mich auf das Spiel", blickte der Bundestrainer bereits voraus, in dem Wissen, auf einen Gegner eines völlig anderen Kalibers zu treffen. Gelingt es seinem Team nur ansatzweise, die Spielfreude des Samstags auf den Platz zu bringen, dürften die mitgereisten Fans erneut den stimmungsvollen Klassiker anstimmen – und David Raum zum Tanzen bringen.