Amerikas Fundamente bröckeln: Exzellenz in Naturwissenschaften schwindet
Von Rainer Rupp
Eric Schmidt, der frühere Vorstandsvorsitzende von Google, hatte kürzlich eine eindringliche Warnung ausgesprochen: Die USA laufen Gefahr, ihre Führungsrolle in der globalen Wissenschaft und Technologie zu verlieren, wenn die von der Biden-Regierung im Rahmen der Anti-China-Sanktionen eingeführte, verschärfte US-Einwanderungspolitik gegenüber chinesischen Studenten und Doktoranten weiterhin so restriktiv bleibt. Diese Warnung kommt zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten mit tiefgreifenden Herausforderungen in ihrem Bildungssystem und ihrer technologischen Innovationskraft konfrontiert sind.
Wie dringend das Problem ist, zeigt die Tatsache, dass auch die international als außenpolitisches US-Leitmedium anerkannte Zeitschrift Foreign Affairs dieses Thema kürzlich in einer ausführlichen Veröffentlichung in alarmierendem Ton aufgegriffen hat. Von der Politik, vor allem von der amtierenden Biden-Administration und der Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, wird das Thema weiterhin ignoriert. So hat Harris in ihrer Rede auf dem Wahlkonvent der Demokratischen Partei bei der Vorstellung ihrer politischen Prioritäten als US-Präsidentin kein Wort über die Misere im US-amerikanischen wissenschaftlich-technologischen Bereich verloren.
Die Vereinigten Staaten galten lange als Vorreiter in den Bereichen Bildung, Innovation und Technologie. Doch diese Säulen der amerikanischen Stärke seien zunehmend gefährdet, erklärt der Foreign-Affairs-Artikel. Das Fundament der US-amerikanischen Macht, tief verwurzelt im Wissensvorsprung des Landes, beginne zu bröckeln. Während andere Nationen ihre Bildungssysteme und technologischen Fähigkeiten rapide ausbauten, drohe den USA der Verlust ihres Vorsprungs – nicht nur in militärischen und wirtschaftlichen Bereichen, sondern auch in ihrem intellektuellen und innovativen Kern.
Das amerikanische Bildungssystem, einst ein Modell für Exzellenz, stelle heute eine signifikante Schwäche dar. Tatsächlich fielen US-Schülerinnen und -Schüler in wichtigen Bereichen wie Mathematik, Naturwissenschaften und Lesefähigkeit zunehmend hinter ihre internationalen Altersgenossen zurück. So zeigten beispielsweise die Ergebnisse des National Assessment of Educational Progress 2023, dass amerikanische 13-Jährige die niedrigsten Mathematik- und Lesefähigkeiten seit Jahrzehnten aufwiesen. Die Situation sei so ernst, dass 70 Prozent der Highschool-Absolventen die für das College erforderlichen Mathematikstandards nicht erreichten, während 43 Prozent in allen Fächern scheiterten.
Dieser Bildungsrückgang ist besonders besorgniserregend, wenn man ihn im Kontext der raschen Fortschritte in anderen Ländern betrachtet. So rangierten die Vereinigten Staaten laut Foreign Affairs im "Program for International Student Assessment (PISA) 2022" auf Platz 34 der Mathematikfähigkeiten, hinter Ländern wie Slowenien und Vietnam (Deutschland liegt auf Platz 25).
Diese Bildungslücke sei nicht nur ein akademisches Problem, so die Zeitschrift, sie bedrohe direkt das langfristige Wirtschaftswachstum und die globale Führungsrolle der USA, wobei Letzteres der Grund ist, weshalb sich Foreign Affairs überhaupt dem Thema widmet.
Auch die Hochschulbildung in den USA, einst ein Leuchtturm der Intellektualität und Innovation, steht vor erheblichen Herausforderungen. Die Kosten für ein Studium sind in die Höhe geschnellt und machen die Hochschulbildung für viele Amerikaner unerschwinglich. Gleichzeitig verlieren US-Universitäten ihre Wettbewerbsfähigkeit, da andere Länder massiv in ihre eigenen Bildungseinrichtungen investieren. Ein alarmierender Trend ist die "Abwanderung von Talenten" aus den US-Universitäten in den privaten Sektor, insbesondere in Bereichen wie der künstlichen Intelligenz (KI). Diese Abwanderung entzieht den akademischen Institutionen nicht nur wertvolle Köpfe, sondern lenkt auch Ressourcen von der Grundlagenforschung ab, die für langfristige Innovationen unerlässlich ist.
Die Auswirkungen dieses Trends seien bereits spürbar. Vor einem Jahrzehnt produzierten die USA mit Abstand die meisten wissenschaftlich zitierten Veröffentlichungen weltweit. Heute hat China die USA in diesem wichtigen Maßstab wissenschaftlichen Einflusses überholt. Zudem ist die US-Investition in Grundlagenforschung signifikant zurückgegangen, während Chinas Investitionen zwischen 2012 und 2021 um über 200 Prozent gestiegen sind. Setzen sich diese Trends fort, werden Chinas Ausgaben für Grundlagenforschung die der USA innerhalb eines Jahrzehnts übertreffen, befürchtet Foreign Affairs, das jedoch hier einen Fehler macht. Denn in einem Ländervergleich lassen sich Effizienz und Ergebnisse von Grundlagenforschung nicht nur an der Summe der Dollars bemessen, die dafür ausgegeben werden – zum Beispiel, wenn die Gehälter von Top-Wissenschaftlern in China weit unter denen ähnlich qualifizierter Kollegen in den USA liegen.
Während die Vereinigten Staaten mit eigenen Bildungs- und Forschungsproblemen kämpfen, schließen andere Nationen die Lücke rasch. Besonders in Ostasien wurden beeindruckende Fortschritte in der Bildung und technologischen Innovation erzielt. In den 1960er Jahren hatte Ostasien eines der niedrigsten Pro-Kopf-BIPs weltweit. Heute hat die Region, hauptsächlich durch Bildungsverbesserungen, einen enormen Vorsprung erlangt und ist zu einem globalen Führer in der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung geworden.
Der Niedergang der Wissensmacht Amerikas habe weitreichende Konsequenzen für seine globale Stellung, so Foreign Affairs. Während die USA in Bildung und Innovation zurückfielen, schwinde ihre Fähigkeit, globale Angelegenheiten zu beeinflussen. Die traditionellen Werkzeuge der harten und weichen Macht – militärische Stärke und kultureller Einfluss – reichten in einer Welt, in der Wissen und Technologie das Wirtschaftswachstum, wissenschaftliche Entdeckungen und militärische Fähigkeiten antreiben, nicht mehr aus.
Um ihre Wissensmacht wiederherzustellen und ihre Zukunft zu sichern, müssten die USA entschlossene Maßnahmen ergreifen. Dazu gehöre vor allem eine erhebliche Investition in das Bildungssystem, von der Grundschule bis hin zur Hochschulbildung. Auch die Reform der Einwanderungspolitik, um Spitzenkräfte zu halten, und die Modernisierung der Lehrpläne, um die Schülerinnen und Schüler besser auf eine sich schnell verändernde Welt vorzubereiten, seien entscheidend. Zudem müsse die US-Regierung ein neues strategisches Rahmenwerk entwickeln, das die Bedeutung der Wissensmacht in der heutigen globalen Landschaft erkennt. Dies erfordert nicht nur Investitionen in Bildung und Forschung, sondern auch den Aufbau der notwendigen Infrastruktur für technologische Innovationen.
Ohne diese Reformen riskierten die USA, weiter im globalen Rennen um Wissen und technologische Dominanz zurückzufallen. Nur durch eine entschlossene Umgestaltung ihres Wissensfundaments könnten die USA ihre Position als globaler Führer wiederherstellen und ihre Zukunft in einer zunehmend wissensgetriebenen Welt sichern.
Eine solche fundamentale Umgestaltung des US-Bildungswesens würde jedoch eine kulturelle Revolution voraussetzen. Zugleich müsste angesichts der gigantischen finanziellen Löcher im Haushalt der US-Regierung (aktuell kommen alle drei Monate Tausend Milliarden Dollar Defizit dazu) der größte Ausgabenposten im Haushalt radikal gekürzt werden, nämlich die US-Militärausgaben von mindestens 800 Milliarden Dollar/Jahr. Das aber wird die allmächtige Lobby der Kriegsgewinnler zu verhindern wissen.
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