Nahost: Iran, Jordanien, Saudi-Arabien – Israel droht noch mehr Krieg
Lässt sich ein großer Krieg in dieser Region noch abwenden? Auf den Iran, der nach Rache für den Hanija-Mord schreit, kommt es jetzt an – und auch auf Israel, das einen Mehrfrontenkrieg eigentlich vermeiden muss. Wieder sieht es danach aus, dass der große Krieg im Nahen Osten nur einen Vergeltungsschlag weit entfernt ist. Dabei ist unbedeutend, ob sie ihn unbedingt wollen oder nicht – Iran , Hisbollah, Hamas, Israelis, Jordanier, Saudis. Das Prinzip Rache ist das Grundproblem, dieser systematische Glaube, dass der Gegenschlag den Schlag übertreffen muss, weil alles andere Schwäche wäre. Es kommt darauf an, den Feind an Kompromisslosigkeit, an Ruchlosigkeit zu übertreffen. Der Iran, das ist die Logik, muss jetzt Stärke zeigen. Mitten in Teheran ist ein Bruder im Geiste getötet worden, das schreit nach Vergeltung. Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, General Hussein Salami, schrieb im Netz: "Das kriminelle und terroristische zionistische Regime und seine Unterstützer müssen mit dem heiligen Zorn der Widerstandsgruppen rechnen." Geht es noch martialischer? "Dann gerät die Politik in Unordnung" Dabei ist es gut möglich, dass diesmal der Wunsch nach übersteigerter Vergeltung die abgezirkelte Strategie außer Kraft setzt, wonach eben der Umschlag des kleinen Gaza-Krieges in den umfassenden Krieg vermieden werden soll. Diese letzte Vorsicht galt bisher einigermaßen zuverlässig. Und jetzt? Nun macht auch China die Erfahrung, dass in dieser Region Vereinbarungen von gestern heute nur noch wenig wert sind. Konfuzius wird dieser weise Satz zugeschrieben: "Zuerst verwirren sich die Werte, dann verwirrt sich das Denken. Und wenn sich das Denken verwirrt, dann gerät die Politik in Unordnung. Und wenn das passiert, stürzt der Himmel ein." Stürzt er ein? Die Übereinkunft, die China mit 16 palästinensischen Gruppen aushandelte, ist jetzt das Papier nicht mehr wert, auf dem sie steht. Der Mord an Ismail Hanija vernichtet erst einmal alle Versuche auf Vermittlung der Gegensätze. Wer sollte es sonst gewesen sein? Auch die unermüdlichen Verhandlungen über einen Austausch der Geiseln sind fürs Erste hinfällig. Die Hamas hat eine Ausrede fürs Aussetzen der Gespräche. Benjamin Netanjahu hat ein Alibi dafür, dass es in Katar nicht weitergeht. Für ihn hat die Vernichtung der Hamas Priorität, wie er immer wieder betont. Die Geiseln sind für ihn nachrangig. Dem Ziel ist der Premier aus seiner Sicht näher gekommen, weil die Hamas den Tod Mohammed Deifs, der für das Blutbad am 7. Oktober verantwortlich war, in diesen Tagen bestätigte. Dazu fiel ein Kommandeur der Hisbollah einem Anschlag zum Opfer. Keine Bestätigung aus Israel , das nicht. Aber wer sonst sollte es gewesen sein? Mehr Krieg und nicht weniger steht bevor. Mehr Krieg ist möglich, weil Zurückhaltung in dieser Weltgegend die Legitimität der Autokratien unterminieren könnte. Und auch Israel ist auf Demonstrationen der Stärke aus – gegen den Iran, gegen die Hisbollah im Libanon und gegenüber den Verbündeten, auf die es angewiesen ist. Biden hat alles versucht Oft schon sind große Kriege einfach nur deshalb entstanden, weil kein Land dabei erwischt werden wollte, ihn zu scheuen. Lieber riskant handeln als beschwichtigen. Lieber eskalieren als stagnieren. Der Nahe Osten ist das grelle Musterbeispiel für das Schlafwandeln in immer neue Konflikte, die zwangsläufig irgendwann in einen großen Krieg münden können. Anders als China macht die Supermacht USA schon länger Ohnmachtserfahrungen. Präsident Joe Biden hat seit dem Gaza-Krieg viele Register gezogen. Er hat Netanjahu gut zugeraten, sich von ihm distanziert, ihm mit Konsequenzen gedroht. Was hat er bewirkt? So gut wie nichts. Vom Anschlag auf Ismail Hanija, dem politischen Führer der Hamas im Exil in Katar, wusste das Weiße Haus nichts. Kaum anzunehmen, dass der Präsident den Mord befürwortet hätte. Also ersparte sich Netanjahu die Frage. Israel macht sich auf alles gefasst Paradoxerweise hatte Hanija die Verhandlungen in Katar unterstützt und sich damit in Gegensatz zu den militärischen Führern im Gaza gesetzt. In Katar hatte er an Einfluss auf Deif und Jihia al-Sinwar verloren. Unter den ganz Bösen war er kein ganz Böser. Wahrscheinlich ergab sich die Möglichkeit, ihn in Teheran zu töten, und dann wurde er eben getötet. Und jetzt? Die USA entsenden noch mehr Kampfjets und Flugzeugträger in die Region. Die Hisbollah schickt täglich noch mehr Raketensalven nach Nordisrael. Die Hamas ordnet sich neu. In Teheran wägen sie ab, wie groß die Rache ausfallen muss, damit sich die Welt von der Stärke des Regimes überzeugen lässt. Israel macht sich auf alles gefasst. Aber kann das kleine Land einen Mehrfrontenkrieg gewinnen?