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Июль
2024

Ex-Wassersprung-Star Hausding über Olympia: "Da hängt die Existenz dran"

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Er war der Star des Wasserspringens: Patrick Hausding. Nach vier Olympia-Teilnahmen als Athlet ist er nun als Experte im Einsatz. Im Interview spricht er über die deutschen Chancen – aber auch die Belastung für die Sportler. Aus Paris berichtet Melanie Muschong Vier Olympische Spiele hat Ex-Wasserspringer Patrick Hausding als aktiver Athlet miterlebt. Er war 2008 in Peking, 2012 in London, 2016 in Rio und vor drei Jahren in Tokio mit dabei, wo er zudem die deutsche Fahne gemeinsam mit Laura Ludwig bei der Eröffnungsfeier tragen durfte. Im Interview mit t-online spricht der frühere Star des Wasserspringens, der als Experte für Eurosport die Spiele in Paris kommentiert, über die Chancen des deutschen Teams – aber auch über den Druck, der auf Athleten und Trainern bei einem Großereignis wie Olympia lastet. t-online: Herr Hausding, reizt es Sie, noch mal zu springen? Patrick Hausding: Ich bin seit meinem Karriereende schon viele Male wieder vom Brett gesprungen. Es hat mich dann auch gereizt, mich wieder zu bewegen und zu sehen, wozu ich noch in der Lage bin. Und? Ich habe auch gemerkt, wie schnell ich abbaue. Daran sieht man, wie viel Kraft man investieren muss, damit man ein gutes Ergebnis bekommt. Aber auch, wie schnell das Spitzenlevel verloren geht, wenn man sich eine Zeit lang nicht mehr darum kümmert. Das ist die Faszination des Hochleistungssports. Es reizt mich noch zu springen, aber für ein professionelles Level reicht es nicht mehr. Sie haben selbst Olympische Spiele in Europa mit London erlebt. Was erwarten Sie nun von Paris? Ich wünsche mir nach Tokio endlich wieder Wettkämpfe mit voller Zuschauerbegeisterung. Mit den Emotionen, die man bei den letzten Olympischen Spielen nicht miterleben konnte. Mit vollen Zuschauerrängen und einem erfolgreichen Abschneiden der deutschen Wasserspringer und vom Team Deutschland. Die Sportstätten haben tolle Kulissen, wie Beachvolleyball unterm Eiffelturm. Das wird tolle Bilder geben. Ich hoffe, dass sicherheitstechnisch alles funktioniert und keine politischen Lagen eskalieren. Als Athlet aus Mitteleuropa würde ich es aber schade finden, dass die Spiele nicht so weit weg sind von der Heimat. Wie meinen Sie das? Peking 2008 war für mich ein Highlight, weil ich das Leben und die Kultur dort aus nächster Nähe erleben durfte. Für die Trainer ist es natürlich in der Vorbereitung mit Paris einfacher, da es eine kurze Anreise ist und es keinen Jetlag gibt. Bei Sportlern spielt auch die Regeneration eine große Rolle. In Paris kommen die Betten aus Pappe, die es schon in Tokio gab, wieder zum Einsatz. Ich habe keine großartig negative Erinnerung an diese Pappbetten. Es war ein bisschen komisch, aber an sich ein recht stabiles Gebilde. Wir als Wassersportler sind an sich auch keine Athleten, die physisch besondere Maße aufweisen. Wir sind nicht besonders groß oder schwer, deshalb war es für uns angenehm. Wenn ich mir da einen Basketballer vorstelle, der wird es schon schwieriger haben. Ich weiß nicht, inwiefern Paris da vorausplant. Es geht eben viel um Nachhaltigkeit, was ich auch verstehen kann. Der Aufwand ist trotzdem immens. Für über 10.000 Personen Betten hinzustellen und danach zu schauen, was aus den Möbeln gemacht wird, ist nicht einfach. Wir leben in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit immer mehr an Wert gewinnt und gewinnen sollte. Materialismus ist nicht mehr in Mode und nicht mehr gesund – nicht für die Gesellschaft und nicht für die Welt. Deswegen finde ich die Pappbetten nicht schlimm. Schlimm wäre es nur, wenn die Leistung der Athleten darunter leiden würde. Es sind Ihre fünften Olympischen Spiele , aber erstmals sind Sie nicht als aktiver Sportler, sondern als TV-Experte dabei. Ein ungewohntes Gefühl? Es hat sein Für und Wider. Ich werde die Spiele mit einem lachenden und einem weinenden Auge anschauen. Wie meinen Sie das? Zum einen, weil ich die Faszination Olympia und das Erlebnis vermissen werde. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass die Zeiten voranschreiten und das Sportlerleben irgendwann vorbei ist. Was fasziniert Sie besonders an der Experten-Tätigkeit? Ich finde es spannend, aus einer professionellen Perspektive mitreden zu dürfen. So etwas hat mir schon immer Spaß gemacht und ich denke, dass ich das ganz gut kann. Wie es wirkt, wird sich dann herausstellen. Es macht auch Spaß, meine ehemaligen Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu begleiten. Sie anzufeuern, beim jeweiligen Erfolg dann live dabei zu sein und mich mit ihnen freuen zu können. Die Hälfte der Mannschaft war auch in Tokio dabei, als ich noch aktiv war. Das alles hat auch seine guten Seiten. Welche noch? Der Fokus in meinem Leben richtet sich nun auf andere Dinge. Ich kann es hier und da flexibler gestalten und meinen Schwerpunkt anders setzen. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass ich über Eurosport die Möglichkeit habe, an den Spielen aus der physischen Ferne, aber emotionalen Nähe teilzunehmen. Was hat sich seit Ihrem Karriereende alles verändert? Ich habe nach Tokio meine Freundin geheiratet. Wir konnten ausgiebige Flitterwochen machen und auch zu ihrer Familie nach Kroatien fahren. Dinge, auf die man während des Leistungssports teilweise verzichten musste. Ich bin zudem in den letzten Zügen meines Studiums, Sport und Englisch auf Lehramt an der Humboldt-Universität. Nebenbei arbeite ich als Übungsleiter im Verein und betreue dort als Aushilfscoach unter anderem den Nachwuchs, dessen großes Ziel ebenso die Olympischen Spiele sind. Das war in den letzten Monaten meine Aufgabe. Dabei haben Sie mal gesagt, Sie wollen nicht als Trainer arbeiten. Hat sich daran nun etwas geändert? So halb. Der Aushilfsjob macht schon ziemlich Spaß. Man bleibt in der Verbindung zum Leistungssport und zur Sprunghalle und zu den Trainern, mit denen man während der aktiven Zeit so viel Zeit verbracht hat. Viele frühere Sportler verfolgen ihre Karriere ja dann auch weiter am Pool. Dass ich deswegen mal ein Vollzeittrainer werden möchte, würde ich nicht behaupten. Ich möchte erst einmal in meinem Beruf als Lehrer Erfahrungen sammeln. Als Aushilfscoach zu arbeiten ist nett, aber die volle Verantwortung zu haben, das sehe ich nicht. Trainer sind viel unterwegs und erfahren ebenso dauerhaft psychischen Druck wie die Athleten. Können Sie das erklären? Die Erfolge des Sportlers reflektieren sich stark auf einen Trainer. Im olympischen Sport ist es oft so, dass es keine tägliche oder wöchentliche Bühne gibt, um die Leistung nachzuweisen. Bei vielen Sportarten sind die Olympischen Spiele der Gradmesser. Und da hängt für zahlreiche Trainer, Bundestrainer und auch Verbände die Existenz dran. Sie waren der Star des deutschen Wasserspringens. Fehlt aktuell eine Identifikationsfigur? Nach Tokio haben drei Persönlichkeiten, die sich über viele Jahren einen repräsentativen Platz gesichert haben, ihre Karriere beendet: Tina Punzel, Martin Wolfram und ich. Das hat schon ein kleines Loch gerissen. Die Jüngeren müssen sich behaupten und vorzeigen. Mit Lena Hentschel und Lars Rüdiger sind in Paris zwei Wasserspringer dabei, die schon eine Medaille aus Tokio haben. Christina Wassen ist sehr erfahren, auch Moritz Wesemann als amtierender Europameister. Er hat sich im weltweiten Vergleich zum Topathleten nach oben gearbeitet. Es ist noch eine junge Mannschaft, jeder hat die Chance, in den Vordergrund zu springen. Was trauen Sie Lena Hentschel in ihrer aktuellen Form zu? Ich habe Lena einige Male im Training gesehen. Sie macht psychisch wie physisch einen sehr guten, sehr stabilen Eindruck. Ich habe mir von den Trainern sagen lassen, dass sie in einer guten Verfassung ist. Ich sehe sie mit ihrer Synchronpartnerin vom 3-Meter-Brett, Jette Müller, momentan mit den besten Medaillenchancen. Sie haben viel Potenzial und schon bewiesen, dass sie es können. Fiebern Sie bei Lars Rüdiger, ihrem früheren Synchron-Partner aus Tokio, besonders mit? Auf jeden Fall. Lars und ich sind gut befreundet. Wir teilen eine kurze gemeinsame, aber sehr erfolgreiche Karriere. Wir haben in drei Jahren zusammen Olympia-Bronze geholt, sind Europameister geworden und haben internationale Medaillen gewonnen. Für ihn war es ein Karriereflug nach oben, den man kaum schneller hätte haben können. Deswegen freut es mich, dass er mit einem anderen Partner ein Jahr nach meinem Karriereende eine WM-Medaille gewinnen konnte. Er hat bewiesen, dass er auch ohne mich erfolgreich sein kann. Im Synchron-Wettbewerb konnte er kein Olympia-Ticket lösen, dafür im Einzel fürs 3-Meter-Brett. Es ist super, dass er es geschafft hat, sich im 3-Meter-Einzel durchzusetzen für Olympia. Das ist noch mal eine andere Marke als "nur" im Synchronteam zu springen und ich freue mich, ihn dann hoffentlich im Finale kommentieren zu können. Auch er ist in einer guten Verfassung. Es ist psychisch für ihn ein ganz schöner Druck, weil er die meisten Jahre in der internationalen Welt nur im Synchron unterwegs war und sich im Einzel jetzt auf sich selbst verlassen muss. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Medien nach einem Raketenstart erwarten, dass sich der Erfolg wiederholt. Das ist extremer Druck. Man sagt, mit dem Alter wird man cooler, aber bei mir war es genau umgekehrt. Wie groß ist der Druck beim Einzel im Vergleich zum Synchronspringen? Das macht schon einen großen Unterschied. Im Synchron macht man sich auch seine Gedanken und ist ängstlich, aber man hat jemanden, mit dem man das teilen kann. Man hat jemanden an seiner Seite. Der beste Spruch: Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude. So sollte man es im Team immer er- und durchleben. Im Team macht jeder mal einen Fehler, das muss man verzeihen können. Ist die Unterstützung durch den Verband beim Umgang mit Druck ausreichend? Soweit ich das beurteilen kann, sind wir beim Angebot von psychologischer Betreuung sehr gut aufgestellt. Ich habe es selbst nie groß in Anspruch genommen, weil ich früher der Meinung war, dass ich es nicht brauche und Probleme mit mir selbst ausmache. Aber das Angebot ist da und eine wichtige Sache für die mentale Gesundheit der Athleten – gerade mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre, was Medien, Leistungsdruck und die Konsequenzen des sportlichen Erfolgs angeht. Was meinen Sie genau? Der Leistungszenit eines Profiathleten, auf dem er international in der Spitze mithalten kann, hält im Durchschnitt wahrscheinlich keine zehn Jahre an. Das ist ein finanzielles und soziales Risiko. Da sollte auch ein Bewusstsein dafür da sein, dass damit auch eine hohe psychische Belastung einhergeht. Aber es ist auch ein ganz normaler Teil des Leistungssports, gegen den Athleten eine Resilienz entwickeln müssen. Es klingt hart, aber: Sportler dürfen in der Hinsicht nicht verweichlichen.