AfD und der Verfassungsschutz: "Völlig falsches Bild von der AfD"
Wie gefährlich ist die AfD? Experte Hendrik Cremer warnt: Sicherheitsbehörden und Medien zeichneten oft ein falsches Bild von der Partei. Jahrelang hat sich die AfD vor Gericht gegen die Einstufung als "rechtsextremistischer Verdachtsfall" gewehrt. Vor Kurzem nun bestätigte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem schriftlichen Urteil auf mehr als 100 Seiten: Die Einstufung war rechtens. Gegner der Partei haben darauf gewartet. Für sie ist das Urteil des Gerichts ein wichtiger Schritt hin zu einem möglichen Verbot der AfD. Bundestagsabgeordnete um den CDU-Politiker Marco Wanderwitz wollen einen entsprechenden Antrag nun im Herbst stellen. Rechtsextremismus-Experte Hendrik Cremer sieht die AfD schon lange nicht mehr als "Verdachtsfall". Die Behörden, warnt er, seien in ihrer Betrachtung der Partei weit im Rückstand – mit Gefahren für den öffentlichen Diskurs. t-online: Viele haben auf das schriftliche Urteil des OVG Münster zur AfD gewartet. Für manche ist es der Startschuss für ein Parteiverbotsverfahren, für den Verfassungsschutz könnte es Grundlage für eine weitere Hochstufung der AfD sein, hin zum Status "gesichert rechtsextrem". Nun ist das Urteil da. Was steht drin? Hendrik Cremer: Die Richter bestätigen, dass es rechtmäßig war und ist, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachtet. Von der AfD geht eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aus. Das ist aber keine Überraschung. Warum nicht? Die AfD wehrt sich seit Jahren gegen die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Bereits 2021 hat der Verfassungsschutz sie ja so eingestuft, seitdem klagt sich die AfD durch die Instanzen. In dieser Zeit aber hat sich viel getan: Die Partei hat sich weiter radikalisiert. Sie ist meiner Einschätzung nach schon lange nicht mehr nur ein "Verdachtsfall". Sondern? Sie ist inzwischen eindeutig und in Gänze rechtsextrem. Nicht mehr "rechtspopulistisch" oder "in Teilen rechtsextrem", wie es in der Presse nach wie vor häufig heißt. Journalisten orientieren sich bei diesen Beschreibungen oft an den Einstufungen des Verfassungsschutzes. Genau das ist ein Problem. Der Verfassungsschutz hat schon die erste Einstufung der AfD zum sogenannten Prüffall zu spät vorgenommen, nämlich erst 2019. Dabei war die Radikalisierung schon Jahre früher sehr deutlich. Parteigründer Bernd Lucke wurde infolge der Radikalisierung beim Bundesparteitag in Essen 2015 vom Hof gejagt. Hans-Olaf Henkel sagte im selben Jahr, dass er es bereue, geholfen zu haben, "ein Monster" zu schaffen. Unter Hans-Georg Maaßen aber, der den Verfassungsschutz bis 2018 leitete, kam es zu keinerlei Reaktion der Behörde. Hat der Verfassungsschutz also geschlafen? Ja. Er hat zu spät reagiert. Der Verfassungsschutz hängt in der Bewertung der AfD zeitlich hinterher. Das zeichnet leider auch in der Öffentlichkeit ein völlig falsches Bild von ihr. Das hilft der Partei bei ihrer Selbstverharmlosung. Was macht die AfD, wie Sie sie einschätzen, eindeutig rechtsextrem? In dem Grundsatzprogramm von 2016, in den Wahlprogrammen von 2017 und 2021 und im Konzept für Sozialpolitik von 2020 wird die rechtsextreme Ausrichtung schon sehr deutlich. Insbesondere der Angriff auf die Menschenwürde, den die Partei verfolgt. Was heißt das konkret? Die Programme unterscheiden Menschen anhand von rassistischen Kategorien. Die AfD kaschiert das aber hinter einer neuen Terminologie. Rechtsextreme Akteure von heute operieren nicht mehr mit dem Begriff der "Rasse", sondern vor allem mit dem Begriff der Kultur. Und für die AfD geht es darum, Menschen, die "nicht der einheimischen Kultur angehören", aus der Gesellschaft auszuschließen, sie zu entrechten. Das zentrale Ziel der AfD besteht – in Anlehnung an nationalsozialistische Ideologie – in der Herstellung einer homogenen Volksgemeinschaft. Was ist ein konkretes Beispiel aus den von Ihnen genannten Programmen, das diese Intention belegt? Die Grundsatzpiere durchzieht ein national-völkisches Menschenbild, das dem Menschenbild des Grundgesetzes diametral entgegenläuft. Die einschlägigen Ausführungen der AfD sind als Ankündigung von Maßnahmen zur Durchsetzung ihrer national-völkischen Ideologie zu verstehen. Konkret wird die AfD insbesondere im Konzept für Sozialpolitik von 2020. Das in dem Konzept anfangs formulierte Bekenntnis zum Sozialstaat ist auf gegenseitige Hilfe und Solidarität "innerhalb unseres Volkes" beschränkt. Das Konzept läuft im Ergebnis darauf hinaus, Menschen, die nach den Vorstellungen der AfD nicht dem "deutschen Volk" angehören, auch deutschen Staatsangehörigen, jede staatliche materielle Unterstützung in Deutschland zu entziehen. Auf wen zielt die AfD da ab, wer also gehört aus ihrer Sicht nicht zu Deutschland? Die AfD definiert das nicht genau. AfD-Funktionäre aber werden deutlich, zum Beispiel, wenn sie den Begriff "Passdeutsche" verwenden. Das zeigt an: Es geht ihnen auch um Menschen, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, also Deutsche sind – aber nicht weiß sind und aus ihrer Sicht nicht die richtige "Kultur" haben. Das kann Millionen Menschen betreffen. Menschen mit Migrationsgeschichte, ebenso Menschen, die in Deutschland geboren wurden oder deren Eltern sogar schon hier aufgewachsen sind. Björn Höcke hat das sehr deutlich gemacht. Inwiefern? Er strebt eine Gewaltherrschaft an, das hat er unter anderem in Dresden 2017 in einer Rede sowie in einem Gesprächsband von 2018 deutlich gemacht. Er will eine homogene Volksgemeinschaft konsequent durchsetzen. Dazu gehört es, Millionen von Menschen, auch deutsche Staatsangehörige, mit "wohltemperierter Grausamkeit" zu deportieren. All die Menschen, gegen die er sich richtet, werden ihre Heimat schließlich nicht freiwillig verlassen. Und Höcke hat auch klargemacht: Andersdenkende, innerhalb wie außerhalb der Partei, haben ebenso mit Gewalt zu rechnen. Er spricht etwa zynisch davon, dass "wir leider ein paar Volksteile verlieren" werden, und meint damit alle, die "zu schwach oder nicht willens" seien, daran mitzuwirken, die national-völkische Ideologie der AfD konsequent umzusetzen. Aus der AfD heißt es immer wieder: Höcke sei nur ein Politiker, nicht die Partei. Höcke hat den eingeschlagenen Kurs der Partei enorm geprägt. Er hat die Programmatik der AfD über Jahre maßgeblich mitbestimmt, auch ihre Personallisten immer wieder stark beeinflusst. Früher gab es noch Widerstand gegen seine Positionen. 2017 startete der Bundesvorstand zum Beispiel ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn, das ihn dezidiert als Nationalsozialisten einordnete. Zum Ausschluss kam es nie. Nein, Höcke baute stattdessen seine Macht aus. Und inzwischen ist der Kurs der AfD durch Höcke wesentlich beeinflusst. Es gibt keinen Protest mehr gegen die Linie, die er vertritt. Im Gegenteil: AfD-Chefin Alice Weidel ist letztes Jahr nach Thüringen gefahren, um erstmals mit ihm zusammen Wahlkampf zu machen. Gerade hat die AfD einen neuen Bundesvorstand gewählt. Dabei zog eine jüngere Generation die Fäden, die weniger stark mit dem Nationalsozialismus liebäugelt. Könnte das den Kurs verändern? Ich sehe keine Kursänderung der AfD durch die Wahlen zum Bundesvorstand auf ihrem letzten Parteitag. Im Gegenteil: Weidel und Chrupalla wurden dabei als Vorsitzende bestätigt, andere Mitglieder des Bundesvorstandes auch. Hierzu zählt etwa der stellvertretende Parteivorsitzende Stephan Brandner aus Thüringen, wiedergewählt mit mehr als 90 Prozent, der in seiner Rede Haftbefehle gegen politische Gegner forderte. Chrupalla rief unter großem Applaus, dass Höcke Ministerpräsident von Thüringen werden solle. Bezeichnend ist auch, dass Hannes Gnauck neu in den Bundesvorstand gewählt wurde. Er ist Vorsitzender der Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternative (JA), die vom Verfassungsschutz bereits als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft worden ist, wobei Gnauck selbst, ehemaliger Soldat der Bundeswehr, schon 2021 vom Militärischen Abschirmdienst, dem Geheimdienst der Bundeswehr, als gesicherter Rechtsextremist eingestuft wurde. Im Bundestag wollen Abgeordnete bald einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren einbringen. Im Herbst aber wird in Brandenburg, Thüringen und Sachsen gewählt. Länder, in denen die AfD bis an die 30 Prozent Zustimmung erhält, also Volkspartei ist. Ist schon allein die Diskussion über ein Verbotsverfahren da ein kluger Schritt? Das Gebot der Stunde ist Aufklärungsarbeit über die AfD. Deutlich zeigen, wie gefährlich sie ist, wie rechtsextrem ihr Kurs. Auf ein Verbotsverfahren sollte man aber nicht verzichten, die Verfassungsorgane sollten einen Antrag prüfen. Denn die Situation ist unberechenbar. Und: Aus meiner Sicht sind die Bedingungen für ein Verbot erfüllt. Wie will man diesen Schritt den 14 bis 30 Prozent bundesweit vermitteln, die AfD wählen? Die Kommunikation ist die größte Herausforderung. Man muss den Menschen diesen Schritt sehr, sehr gut erklären. Ohne Frage aber wird es Widerstände geben. Schon jetzt inszeniert sich die AfD gerne als Opfer in einem diktatorischen System, als Unterdrückte. Droht bei einem Verbot nicht massiver Protest bis hin zu Gewalt? Ohne Frage würde die AfD stark die Opferkarte spielen. Das tut sie aber schon seit Jahren, das ist ein Wesenselement einer solchen Partei. Dass diese Erzählung bei einem Verbotsverfahren verfängt, lässt sich am besten verhindern, wenn man deutlich macht, wie gefährlich die Partei ist. Wer auf die Zerstörung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung abzielt, ist nicht Opfer. Danke für das Gespräch, Herr Cremer.