J. Peirano: Der geheime Code der Liebe: Mein Partner ist ein Messie – auch in unserer Wohnung
Wenn der eine Partner jeden Schrott anschleppt und der andere versucht, freie Flächen zu bewahren, ist der Konflikt programmiert. Julia Peirano hat eine bestechende Idee, die Abhilfe verspricht.
Liebe Frau Dr. Peirano,
mein Partner und ich leben seit zwölf Jahren zusammen. Von Anfang an war seine Sammelwut ein großes Problem für mich. Schon bei unserem Einzug brachte er Schachteln gefüllt mit alten Elektrogeräten, Kabeln, Lichterketten, Büchern, VHS Kassetten und vielem mehr mit. Diese Schachteln stehen zum Teil bis heute noch, so wie sie gebracht wurden, in unserem Büro und Keller. Immer wieder bringt er Taschen und Kartons gefüllt mit allerhand Plunder nach Hause, die von Bekannten im Rahmen eines Umzugs oder Ähnlichem ausgemistet werden.
Ein guter Freund von ihm besitzt sogar eine Firma, die auf Entrümpelungen spezialisiert ist und kontaktiert ihn regelmäßig, damit mein Partner sich Sachen aussuchen kann, die er haben möchte, bevor sie entsorgt werden. Kabel, Geschirr, Spielsachen, Bücher, Kerzenhalter, Dekomaterial, Werkzeug, selbst Handtaschen und Kleinmöbel – all das ist in unserer Wohnung zu finden!
Die Schachteln und Taschen stehen überall verteilt, auf dem Balkon (20 m² groß!), im Büro bzw. Gästezimmer, im Wohnzimmer. Überall, wo eine Ecke frei ist, stellt mein Partner etwas hin. Auf meine Einwände schwört er immer wieder hoch und heilig, dass er die Sachen "sortieren" werde und Dinge, die er nicht braucht, entsorgen würde. Passiert ist wenig bis gar nichts.
Die alten Elektrogeräte möchte er reparieren, denn er findet "diese Wegwerfgesellschaft" schrecklich. Man müsse ja nicht immer alles gleich neu kaufen. Da gebe ich ihm recht – doch brauche ich wirklich fünf DVD-Player und acht Deckenlampen, wenn ich schon Lampen und einen DVD-Player habe? Ich habe ihm schon mehrmals gedroht, die Sachen selbst zu entsorgen und mich so von diesem Ballast zu befreien, was mein Partner mir unter Androhung von Trennung untersagt.
Es ist mir unangenehm, Freunde in unsere Wohnung einzuladen, weil so viele Sachen rumstehen und den Eindruck von Unordnung vermitteln. Es gibt Schränke, die ich erst öffnen kann, wenn ich davor diverse Schachteln zur Seite geschoben habe. Dass dies auch eine Herausforderung beim Putzen ist, muss ich wohl nicht extra erwähnen.
Ich habe das Gefühl, dass dieses Ansammeln von Dingen krankhaft bei ihm ist. Er schafft es einfach nicht, sich davon zu trennen und er schafft es auch nicht, Nein zu sagen, wenn ihm jemand anbietet, etwas mitzunehmen. Er verspürt auch keinen Leidensdruck deswegen. Für ihn ist das alles halb so schlimm und er versteht nicht, worüber ich mich eigentlich so aufrege. Eines Tages wäre ich ihm dankbar, dass es uns an nichts fehle, behauptet er.
Ich frage mich, ob er schon von seinen Eltern so geprägt wurde. Bei ihnen zu Hause sieht es ähnlich aus. Gegenstände werden über Jahrzehnte behalten und nicht erneuert. Wenn doch, werden die alten Sachen aufgehoben – für alle Fälle. Auf mich wirkt alles alt und muffig. Sie haben einen riesigen Garten, durch den man vor lauter Pflanzen und Gerätschaften kaum laufen kann. Aber mein Partner findet "diese Vielfalt" schön.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Trennen möchte ich mich nicht, weil wir uns ansonsten sehr gut verstehen. Nur wegen seiner Sammelwut geraten wir immer wieder aneinander. Aber einen Kompromiss zu finden, empfinde ich als sehr schwierig. Ich habe das Gefühl, mich verbiegen zu müssen und mein Zuhause nicht so einrichten zu können, wie ich es gerne möchte.
Immer öfter schlucke ich meinen Ärger herunter, weil es ja doch nichts bringt. Haben Sie einen Rat für mich?
Nadine E.
Liebe Nadine E.,
das hört sich kompliziert und problematisch an! Es treffen bei Ihnen zwei Welten aufeinander: Ihr Freund dominiert anscheinend die Gestaltung der Wohnung, indem er alte Dinge hortet und auch gegen Ihren ausdrücklichen Willen immer noch mehr Dinge anschleppt, die wieder bei Ihnen gelagert werden.
Und Sie hätten es gerne aufgeräumter, wahrscheinlich auch ästhetisch ansprechender, aber dazu gibt es nicht die Möglichkeit, da alles vollgestellt ist und Sie nicht einmal Ihren Balkon betreten können. Sie fühlen sich unwohl, und Sie schämen sich sogar vor Freunden, was gut nachvollziehbar ist.
Ich würde Ihnen an der Stelle erst einmal einen Spielfilm empfehlen, in dem es genau um dieses Thema geht: „Alles in bester Ordnung“ handelt von einer Frau (gespielt von Corinna Harfouch), deren Wohnung bis ins letzte vollgestellt ist, und ihrem Nachbarn (dargestellt von Daniel Strasser), der gerne nur mit einem Rollkoffer unterwegs ist und sein Herz nicht an Dinge hängt. Schauen Sie den Film doch einmal mit Ihrem Partner zusammenan, hoffentlich ermöglicht Ihnen das einen Einstieg in die tieferen Schichten der Thematik.
Sie schreiben, dass Sie sich eigentlich sehr gut mit Ihrem Freund verstehen und dass seine Sammelwut das vorrangige Problem ist. Ich kann mir vorstellen, dass die Sammelwut so etwas wie die Spitze des Eisbergs ist und dass darunter andere Probleme oder Themen liegen, die zum Vorschein kommen würden, wenn er sich von den angehäuften Gegenständen trennen müsste. Es gibt verschiedene psychische Ursachen für eine Sammelwut, zum Beispiel Angst- und Verlustgefühle, die dadurch bewältigt werden, dass man sich an Dinge klammert oder eine grundsätzliche innere Unordnung im Denken, die es verhindert, dass man zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen unterscheiden und priorisieren kann.
Es könnten auch eine Auflehnung gegen eine zu strenge und kontrollierende Erziehung die Ursache sein (sozusagen ein rebellischer Messie), aber da die Eltern Ihres Partners selbst horten, kommt das hier nicht infrage. Möglicherweise gibt es ein über Generationen weitergegebenes Familienthema, das nicht bearbeitet wurde. Es könnte so etwas sein wie Flucht bzw. Vertreibung im Krieg, bei dem man alles verloren hat und deshalb lieber fünf DVD-Spieler hortet, es könnte ja mal wieder eine Knappheit eintreten. Meine Oma hat zum Beispiel Gummibänder und Paketband aufbewahrt, weil sie den Krieg erlebt hatte.
Hier sind noch zwei empfehlenswerte Bücher:
"Messies. Ein Versuch, zu verstehen. Betroffene sprechen über ihr Leben mit dem Messiesyndrom." Von Michael Schröter.
"Selbsthilfe für Messies. Ursachen verstehen – Veränderungen wagen." Von Rainer Rehberger.
Ganz wichtig ist, dass der Betroffene sich selbst dazu entscheiden muss, sich mit den Ursachen des zwanghaften Hortens zu beschäftigen und es zu wagen, sich von den unnötigen Dingen zu befreien. Diese Maßnahme sollte auf keinen Fall von außen durchgesetzt werden (z.B. indem Sie einfach Dinge wegwerfen), da es einerseits zu großer psychischer Destabilisierung und Kontrollverlust führen könnte und andererseits dazu, dass Ihr Partner wieder neue Dinge anhäuft. Und dazu kommt, dass Ihr Partner so stark in seinem Zwangsverhalten steckt, dass er Ihnen mit einer Trennung droht, wenn Sie dagegen angehen! Das zwanghafte Horten hält sozusagen die darunter liegenden Probleme in Schach, so wie Alkoholismus auch andere Probleme überdeckt (wie z.B. Einsamkeit, Probleme in der Beziehung oder bei der Arbeit, Kummer).
In den Therapien, die ich mit Betroffenen durchgeführt habe, ging es immer wieder um die Bereitschaft, sich den darunter liegenden Themen und Ängsten zu stellen und diese auszuhalten, und erst mit dieser Einwilligung konnte ich mit den Patient:innen in deren Wohnung tätig werden und ihnen beim Ausmisten helfen. Und dann mit ihnen Schritt für Schritt austarieren, welche psychische Unterstützung nötig war, um die Ängste besser auszuhalten.
Auf jeden Fall wäre bei dieser Störung eine Verhaltenstherapie angebracht, da Verhaltenstherapeut:innen im Unterschied zu allen anderen Psychotherapeut:innen auch direkt ans Symptom gehen und die Praxis verlassen, um zum Beispiel in der Wohnung Übungen zu machen.
Nun geht es um Sie und Ihr berechtigtes Bedürfnis nach Ordnung, Platz und Ästhetik in Ihrer Wohnung und zwar ohne Kisten und Elektroschrott. Meine erste und naheliegende Frage lautet: Warum leben Sie mit Ihrem Partner in einer gemeinsamen Wohnung? Wäre das Problem nicht recht einfach zu lösen mit getrennten Wohnungen, und sei es im gleichen Wohnblock oder der Nachbarschaft, und Spielregeln für jede Wohnung? Bei Ihnen ist "Klar Schiff" (wie man in Hamburg so sagt) und bei ihrem Partner ist "Land unter"?
In den zwölf Jahren des Zusammenlebens haben Sie es nicht geschafft, zu Wort zu kommen, sondern Ihr Freund hat gemacht, was er wollte, bzw. was sein Zwang wollte. Sie könnten jetzt so weitermachen und über jede Kiste verhandeln, aber wenn die psychischen Ursachen nicht bewältigt sind, stehen die Chancen sehr schlecht für eine nachhaltige Veränderung. Es hört sich so an, als verleugne Ihr Partner das Problem oder sehe es nicht als Problem. Da haben Sie schlechte Karten.
Insofern würde ich Ihnen raten, sich eine eigene Wohnung zu suchen und es aufzugeben, einen Kompromiss zu finden für diesen unüberwindbaren Gegensatz.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
Dieser Artikel enthält sogenannte Affiliate-Links. Mehr Informationen dazu gibt es hier.