Neue Technologien: Turbulenzen im Fokus: Wie der Klimawandel die Luftfahrt verändert
Der tragische Vorfall auf einem Flug, bei dem ein Passagier infolge heftiger Turbulenzen und eines Herzinfarktes verstarb, eröffnet Diskussionen über Flugsicherheit und die Anpassung der Luftfahrttechnik an klimatische Veränderungen. Wie sicher ist Fliegen in Zeiten des Klimawandels?
Ein Flugzeug von Singapore Airlines geriet im Mai über Südostasien in extreme Turbulenzen. An Bord wurden mehrere Personen schwer verletzt, die meisten erlitten Verletzungen am Schädel, Gehirn und der Wirbelsäule. Ein 73-jähriger britischer Passagier starb vermeintlich infolge des Vorfalls an einem Herzinfarkt, die genaue Todesursache ist nicht geklärt. Wenige Tage später meldete auch Qatar Airways einen Vorfall, bei dem wieder Fluggäste durch starke Turbulenzen verletzt worden waren. Experten warnen schon länger vor zunehmenden Turbulenzen. "Der Klimawandel verändert die Art, Menge und den Umfang von Turbulenzen", erklärte etwa der britische Atmosphärenwissenschaftler Paul Williams.
Zu diesem Ergebnis kommt auch eine erst kürzlich veröffentlichte Studie der University of Reading in England. Sie zeigt, dass die globale Erderwärmung die Winde in der Atmosphäre beeinflusst und mit den klimatischen Veränderungen auch die Turbulenzen zunehmen. Die Windscherung, also die Unterschiede in der Windgeschwindigkeit in verschiedenen Höhen, ist in den letzten 50 Jahren um 15 Prozent gestiegen, so die Forscher. Diese Veränderungen verursachen turbulente Störungen, vergleichbar mit Wellen in einem Fluss.
Besonders auf transatlantischen Flügen treten immer mehr Turbulenzen auf. Die Wetterbedingungen beispielsweise über dem Nordatlantik sind extrem: Durch die geografische Nähe zur Arktis beeinflusst auch ihre rasante Erwärmung die Windmuster in der Atmosphäre. Das und weitere Luftdruckveränderungen machen die Atmosphäre instabil und verursachen so mehr Turbulenzen auf Flügen. Die Forschungsergebnisse aus England belegen auch, dass es wegen des Klimawandels mehr Turbulenzen im klaren Himmel gibt, und nicht nur, wie üblicherweise, in der Nähe von Wolken oder Stürmen. Solche "Clear-Air-Turbulenzen", umgangssprachlich auch Luftlöcher genannt, sind schwieriger vorherzusagen als andere Wetterereignisse. Wird Fliegen in Zukunft also unsicherer?
Extremwetter erfordert Anpassungen in der Luftfahrttechnik
Die Unvorhersehbarkeit des Wetters und die Zunahme von Extremwetterereignissen erfordern, dass sich die Luftfahrtbranche und die Luftfahrttechnik an klimatische Veränderungen anpassen. Peter Hecker, Professor und Leiter des Instituts für Flugführung an der Technischen Universität Braunschweig, erklärt im Interview mit dem stern, dass diese Anpassungen notwendig seien, um den Herausforderungen zu begegnen: "Dazu gehören in Europa und Nordamerika häufigere und stärkere Gewitter mit Begleiterscheinungen wie Hagel und Blitzschlag, die den Luftverkehr beeinträchtigen. In anderen Regionen der Welt werden steigende Lufttemperaturen die Startleistung von Flugzeugen verringern oder Sandstürme den Wartungsaufwand bei Flugzeugturbinen erhöhen." Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sei ein besseres Verständnis dieser Phänomene und ihrer zukünftigen Entwicklung entscheidend. "Neue Flugplanungsverfahren müssen tages- und stundenaktuell betroffene Gebiete identifizieren und meiden können. Dazu sind neue Systeme erforderlich, die im Cockpit Unterstützung bei der Flugführung bieten."
Heutige Flugzeuge sind zwar so konstruiert, dass sie auch den zukünftigen Beanspruchungen standhalten können. Das Fliegen bleibt demnach auch unter schlechten Wetterverhältnissen sicher. Selbst extreme Turbulenzen können nicht zu einem Absturz führen. Trotzdem sind neue Warnsysteme oder Flugplanungsmethoden erforderlich, um die Sicherheit an Bord weiterhin zu gewährleisten oder sogar zu verbessern. "Laserbasierte Sensoren können den Luftraum vor dem Flugzeug nach gefährlichen Turbulenzen rechtzeitig absuchen oder sogar automatisch die Bewegungen des Flugzeugs veranlassen, die Turbulenzen auszugleichen. Solche und weitere Planungsmethoden sind bereits in Entwicklung", erklärt Hecker. "Es braucht jedoch noch mehr Forschung, um Klimaveränderungen und deren Auswirkungen besser vorhersagen zu können."
Luftfahrt und Klimawandel: Eine bittere Ironie
Während sich die Luftfahrt an die immer drängenderen klimatischen Herausforderungen anpassen muss, ist sie gleichzeitig ein maßgeblicher Treiber des Klimawandels. Die neuesten Berechnungen des österreichischen Bundesumweltamts verdeutlichen das Ausmaß: Ein Kilometer Flug verursacht über 31-mal mehr Emissionen als ein Kilometer Bahn. Diese erschreckende Zahl berücksichtigt nicht nur die während des Fluges ausgestoßenen Treibhausgase, sondern auch die klimaschädlichen Emissionen, die bei der Herstellung der Flugzeuge entstehen. Darüber hinaus fließen in diese Berechnungen die unterschiedlichen Besetzungs- und Auslastungsgrade der Verkehrsmittel ein. Die Luftfahrtindustrie steht damit vor einem gewaltigen Paradox: Während sie gezwungen ist, sich den Auswirkungen des Klimawandels anzupassen, verschärft sie diese selbst in erheblichem Maße.
Neue Strategien für umweltfreundlicheres Fliegen
Daher ist es entscheidend, dass die Branche nicht nur technische Anpassungen vornimmt, sondern auch ihre Emissionen reduziert. "Hier wird weltweit mit größten Kraftanstrengungen an effizienteren Flugzeugen, neuen Antrieben, neuen Energieträgern und auch an neuen Flugführungstechnologien geforscht", erklärt Hecker. DieTU Braunschweig ist maßgeblich an der Forschung zu umweltverträglichen Luftfahrttechnologien beteiligt.
Neben technischen Maßnahmen steht seit einigen Jahren auch die Anpassung der Flugrouten im Fokus. In den letzten Jahren haben zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten gezeigt, dass die Klimawirkung von Flugzeugemissionen stark von ihrem Ort abhängt. Die Grundidee hinter klimaoptimierten Flugrouten ist es, Bereiche der Atmosphäre zu umfliegen, an denen Emissionen aufgrund spezifischer Wetterbedingungen besonders starke Auswirkungen haben.
Aktuell werden Flüge so geplant, dass die Flugzeiten kurz gehalten und der Kerosinverbrauch minimiert werden, was bereits bedeutende Fortschritte in Bezug auf Effizienz und Umweltschutz in der Luftfahrt gebracht hat. Um jedoch weiter voranzukommen, muss das Ziel der Optimierung angepasst werden. CO₂-Emissionen machen nur ein Drittel der Klimawirkung eines Flugzeugs aus, während der Rest auf Effekte durch Kondensstreifen und Ozonbildung entfällt. Berechnungen zeigen, dass durch optimierte Flugrouten die Klimawirkung um 20 Prozent reduziert werden kann, ohne dass technische Änderungen an den Flugzeugen erforderlich sind. Theoretisch wäre noch mehr möglich, wenn die Flugzeuge langsamer fliegen würden.
"Luftfahrt bleibt unverzichtbar"
"Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass viele Formen der globalen Kommunikation durch elektronische Medien und Videokonferenzen ersetzt werden können. Dennoch bleibt persönlicher Kontakt in einer global vernetzten Gesellschaft unverzichtbar und fördert ein friedliches und weltoffenes Miteinander zwischen den Kontinenten. Gerade hier spielt der Luftverkehr eine entscheidende Rolle", betont Hecker. "In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Luftfahrt erheblich verändern. Es bedarf exzellent ausgebildeter Wissenschaftler und Ingenieure, um diesen Wandel voranzutreiben", fügt er hinzu.
Angesichts des bereits stark fortgeschrittenen Klimawandels und seiner Folgen bleibt offen, ob die derzeitigen Bemühungen in der Luftfahrttechnik genügen, um sowohl die Sicherheit der Passagiere bei unvorhersehbaren Turbulenzen zu gewährleisten als auch die Klimabelastung durch den Flugverkehr signifikant zu reduzieren. Können technische Innovationen und optimierte Flugrouten alleine genug sein, oder muss die Luftfahrtbranche grundlegend umdenken und neue, klimaneutrale Strategien entwickeln? Es bleibt abzuwarten, ob die geplanten Maßnahmen die tatsächlichen Ursachen der neuen Dimension an Turbulenzen – den menschengemachten Klimawandel – wirksam bekämpfen können.
Quellen: Singapore Airlines Flug University of Reading, UK Klimafreundliche Flugrouten Umweltbundesamt Österreich